Mariatroster Straße 136

Aus Baugeschichte

Österreich » Steiermark » Graz » 8042



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47° 5' 53.99" N, 15° 28' 12.40" E


Ehem. Drahtstiftenfabrik Gratzer-Künne

Das sich heute als villenartiges Anwesen präsentierende Komplex war einst die Drahtstiftenfabrik des Nagelschmiedmeisters Michael Grazer (auch Gratzer), die Ende des Jahres 1857 in Betrieb gegangen war; sie folgte damit der ein Jahr zuvor begründeten Drahtstiftenfabrik des Herrn Andrieu in der heutigen Fabriksgasse 17 (Graz); die Drahtstiftenmaschine des Herrn Leopold Gottsbacher (Rosenberggürtel 48) war damals ausser Betrieb. Den dazu notwendigen Grund beiderseits des Mariatrosterbaches hatte Gratzer 1855 von Sebastian Windisch, vulgo Knödl, erkauft, siehe Mariatroster Straße 132. Die gewölbte Nagelschmied-Werkstätte wurde unter einem ebenerdigen Wohngebäude errichtet, ein Wasserkanal führte dem oberschlächtigen Wasserrade die Antriebsenergie zu. Das Wasser wurde rund 150 m bachaufwärts (ungefährt bei der heutigen Brücke für die Tramway) durch eine Schwellwehr gestaut und durch eine Rinne bis zur Radstube der Nagelschmiede geführt.

Schon im August 1861 war der „Drahtstiften-Erzeuger“ Michael Gratzer gezwungen, den Betrieb mittels Pferdekraft in Gang zu halten, da der „Kroisbach“ seit zwei Monaten kein Wasser mehr führte. 1869 musste er einen Dampfkessel aufstellen und einen Rauchfang bauen. Als Michael Gratzer am 27. Juni 1875 im Alter von 67 Jahren an "Auszehrung" gestorben war, betrug der Wert der Fabrik laut Inventar 5.000 fl CM. 1876 ging der Besitz an Gratzers Tochter Josefa Künne über, den Gewerbeschein erhielt ihr Mann, der 1827 in Wernigerode geborene Friedrich Künne.

1896 wurde die ganze Anlage durch den Hochwasser führende Mariatrosterbach schwer beschädigt. 1898 folgte Friedrich Karl Künne seinem Vater als Inhaber der Fabrik nach. Gegen die "Fabriksesse" gingen 1899 vergeblich Johanna Brauner, die Besitzerin der "Villa Brauner" und die dortigen Wohnparteien mit einer Anzeige vor.

Am späten Abend des 17. Juli 1901 entstand, womöglich durch Brandstiftung, ein gefährliches Feuer, das den Dachstuhl einäscherte. Der Wagenführer einer gerade vorbeifahrenden elektrischen Bahn konnte rasch die Feuerwehren alarmieren. Die Grazer Zeitungen berichteten ausführlich, und auch eine Illustration wurde beigesteuert; man liest auf dem Gebäude "Drahtstiften Erzeugung Mich. Grazer’s Nachf. Friedr. Künne". Am 23. November 1909 berichten die Zeitungen neuerlich über ein Großfeuer, diesmal in der „Künneschen Korkstoppelfabrik“, das um 3 Uhr früh von der Kellnerin der Gastwirtschaft und Meierei St. Johann (Mariatroster Straße 181) bemerkt wurde. Der nur teilweise durch Versicherung gedeckte Schaden betrug 18.000 Kronen.

Bald danach dürfte die Fabrik bereits an den k. k. Major Daniel Schneider-Wehrthal übergegangen sein, der eine Brauner-Tochter geheiratet hat und 1935 als General starb. Im Stadtarchiv Graz liegt ein Bauakt aus dem Jahre 1910 auf; es wurden danach vermutlich nur die Brand-Schäden behoben, denn der Vergleich der Illustration von 1901 mit dem heutigen Zustand lässt keine großen Änderungen erkennen. Im November 1911 fand - auf der Flucht vor seinen Frauen - der "Heidedichter" Hermann Löns Unterschlupf in diesem Haus; das Mansardenfenster seines Zimmers ist noch lokalisierbar. Während des ersten Weltkrieges sollen in der Werkstätte mit Hilfe der Wasserkraft noch Granaten für das Heer gedreht worden sein, behauptet eine Chronik. Nach dem Kriege wurde dann jegliche Fabrikation eingestellt. Die ehemaligen gewerblichen Anlagen wurden zu Wohnzwecken umgebaut.

(nach Karl Niederl *, Mariatroster Bote 1984 und 1991; Gernot Fournier, Mariatrost 1994)

  • der 2016 verstorbene Niederl war Kapellmeister in Mariatrost

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